Am 06. Mai 1933 zogen Mitglieder der Deutschen Studentenschaft, der Hitlerjugend, NSDAP und SA los, um als Teil der Schlussphase ihrer Inszenierung „Aktion wider den undeutschen Geist“ eine landesweite Plünderung von Leihbibliotheken und Buchhandlungen durchzuführen. Ziel der Aktion, welche kurz nach der Machtergreifung begann, war die Verfolgung unliebsamer Schriftsteller und eine Wende in Richtung nationalsozialistischer Erziehung. Unter den Büchern und Unterlagen waren auch jene des Instituts für Sexualwissenschaft. Das von Magnus Hirschfeld gegründete private Institut betrieb wissenschaftliche Forschung zum Thema Sexualität und Geschlecht und war eine Beratungs- und Anlaufstelle für queere Menschen. Es war des erste und bis nach dem Zweiten Weltkrieg auch die einzige seiner Art. Magnus Hirschfeld selbst war ein bedeutender „Sexualwissenschaftler“ seiner Zeit. Weiters gründete er das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, das sich für die Abschaffung des § 175 StGB, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Er war auch ein Pionier in der Forschung über trans Identitäten und die Behandlung von Genderdysphorie.
Am 10. Mai 1933 sah Hirschfeld die Zerstörung seines Lebenswerks in einem Pariser Kino in einer Wochenschau. Als dritter Schritt der Nazi Aktion folgte die eigentliche „Hinrichtung des Ungeistes“: „An allen Hochschulen wird am 10. Mai 1933 das zersetzende Schrifttum den Flammen überantwortet.“ Die Studenten sahen in der Bücherverbrennung einen symbolischen Akt, der zeigt, „daß in Deutschland die Nation sich innerlich und äußerlich gereinigt hat“, so Goebbels in seiner Rede am Berliner Opernplatz. „Was bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz verschont blieb und im November von der nachträglichen Zwangsversteigerung des Berliner Finanzamts zur Eintreibung nachberechneter Steuerschulden nicht verscherbelt wurde, ging spätestens bei der Schlacht um Berlin zugrunde“, fasst Wikipedia den weiteren Verlauf treffend zusammen. Erst Jahrzehnte später sollten einige Bücher in eine Reisetasche in den USA wieder auftauchen.
Das Hirschfeld-Institut wurde während des Aufstiegs der Nationalsozialisten im Jahr 1933 geschlossen. Die Nationalsozialisten betrachteten Sexualwissenschaften als „entartet“ und verboten jede Forschung und Bildung in diesem Bereich. Das Hirschfeld-Institut wurde geplündert und zerstört, seine Mitarbeiter verhaftet und in Konzentrationslager geschickt. Magnus Hirschfeld selbst war zu dieser Zeit nicht in Deutschland und kehrte nie wieder zurück. Über die Klient*innen ist wenig bekannt, ebenso ob sie vom NS-Regime ausgeforscht werden konnten oder ob die Unterlagen zerstört wurden. Da § 175 auch nach der NS-Zeit weiter galt, blieben queere Häftlinge, sofern sie überlebten, auch nach Kriegsende inhaftiert. Am 5. Mai 1945 erreichte die US-Armee Gusen und Mauthausen und befreiten die Häftlinge. Das Totalverbot von Homosexualität fiel in Deutschland aber erst 1969, in Österreich 1971. Im österreichischen Strafrecht wurden Homosexuelle noch bis 2002 diskriminiert.
Hirschfeld war in seinem Bereich führend, die Ideologie der Nazis führte aber dazu, dass weltweit die Forschung in diesem Bereich zum Erliegen kam. Erst in den 60er und 70er begann in den USA wieder Forschung im Bereich Queer-Health. Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) führte in der 9. Version von 1976 noch Transgeschlechtlichkeit unter „Störungen der Geschlechtsidentität“ innerhalb des Abschnitts „Neurosen und Psychopathien“ und Homosexualität, Sodomie und Pädophilie unter der Position „Sexuelle Verhaltensabweichungen und Störungen“. Die Pathologisierung von Homosexualität und Bisexualität wurde 1990 mit ICD-9 beendet, jene von Transsexualität 2019 mit ICD-11. In Österreich sollte ICD-11 mit 1.1.22 in Kraft treten, was aber nach wie vor nicht passiert ist. Hirschfelds Vision war die „Förderung wissenschaftlicher Forschung des gesamten Sexuallebens und Aufklärung auf diesem Gebiete“ und diesem Ziel einen Ort sowie einen rechtlich geschützten und finanziell gesicherten Rahmen zu verschaffen. Ein pathologisierungsfreier niederschwelliger Zugang zu Gesundheitsversorgung ist auch 90 Jahren nach Zerstörung des Hirschfeldinstituts nach wie vor nicht möglich.
Der Prozess des Problembewusstseins dauerte jedenfalls viele Jahre. Erst 2005 konnte sich der österreichische Nationalrat dazu durchringen, das Opferfürsorgegesetzes (OFG) zu novellieren, sodass auch homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus ein Anspruch auf Entschädigung zustand. Im Jahr 2011 errichtete die BRD die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, welche im ersten Entwurf an die Verfolgung Homosexueller durch die Nationalsozialisten zu erinnern als auch deren heutige Lebenswelt erforschen sollte. In den Stiftungszielen „fehlen Transgender, Transsexuelle und intergeschlechtliche Menschen und damit wesentliches“, kritisiert das Berliner Netzwerk TransInterQueer damals, „Dies dürfte nicht im Sinne des Namensgebers sein“. In Österreich gibt es praktisch keine Aufarbeitung des Themas und es wurde lange Zeit auch aus der universitären Forschung ausgeklammert. Erst 2013 wurde eine durch den Nationalfonds gefördertes Forschungsprojekt ins Leben gerufen, um die Verfolgung homosexueller Männer aus Wien im Nationalsozialismus umfassend darzustellen. Den queeren Opfern des NS-Regimes wurde auch erst heuer, 2023, erstmals im deutschen Bundestag gedacht. Bisher hatten das CDU/CSU verhindert, diese sind aber aktuell nicht mehr Teil der dt. Regierung.
Die aktuelle politische Entwicklung in weiten Teilen der Welt, insbesondere den USA, UK, Polen, Ungarn und Uganda geben kaum Grund zu Hoffnung, dass sich die Lage für queere Menschen zeitnah entspannt. Wie bereits vor knapp 100 Jahren, greifen faschistische, religiös-fundamentalistische und andere reaktionäre Kräfte zuerst die schwächsten in der Gesellschaft an, was meistens trans Personen und vor allem trans Kinder trifft. Queerfeindlichkeit ist aber kein isoliertes Phänomen, sondern zentraler Bestandteil rechter Ideologien. Durch Auslöschung queerer Lebensrealitäten, Abschaffung reproduktiver Selbstbestimmung und einem binären heteronormativen Bild von Mann und Frau als Zentrum der Kernfamilie, soll sichergestellt werden, dass sich „die richtigen“ Leute fortpflanzen und die Mehrheitsgesellschaft bevölkern. Aktuell werden Bücher „nur“ verbannt, aber (noch) nicht verbrannt. Die Entwicklung ist aber selbst in EU Ländern, wo die Europäische Menschenrechtskonvention helfen sollte, sehr schwierig, da die Mühlen der Judikatur sehr langsam mahlen. Zeit, die vor allem queere Jugendliche nicht haben. Auch ohne Vernichtungslager treiben hasserfüllte Gesetze, die insbesondere trans Personen ausgrenzen und ihnen Zugang zu medizinischer Versorgung untersagen oder gar kriminalisieren, Menschen in Haft und Suizid. Bereits seit längerem wird versucht, den Begriff des Völkermords auf die systematische Verfolgung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung zu erweitern. Bislang umfasst die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (CPPCG) aber nur Handlungen, die in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, obwohl in frühen Entwürfen der UN-Völkermordkonvention auch die Auslöschung von sozialen Gruppen in die Definition eingearbeitet war.
Broschüre zur Geschichte des Institutes und zahlreichen historischen Fotos: Denkmal_Broschuere_barrierefrei.pdf (berlin.lsvd.de)